SCHOLLE

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Biesdorf-Nord, Stadtrandsiedlung, Straße F | Berlin |1932/33 | Foto im Besitz der Familie Schorten

Einführung

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Lageplan der Stadtrandsiedlung Hellersdorf | Besuch bei Franziska Maurer | 2019

Die Scholle im Häusermeer –
Vorstädtische Kleinsiedlungen für Erwerbslose

Ästhetische Forschung zum Wesen der Stadtrandsiedlung im Spiegel gesellschaftlicher und ökonomischer Umwälzungsprozesse zu Beginn der 1930er Jahre in Berlin.
von Sigrun Drapatz und Tanja Lenuweit

Die Stadt Berlin beschloss am 27.12.1931 stadteigenes Gelände zum Siedlungsbau zur Verfügung zu stellen und mit der Umsetzung sofort zu beginnen¹. Es wurden 20 Siedlungen geplant. Bis 1933, also noch vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, wurden 2400 Siedlerstellen auf den Weg gebracht, insgesamt entstanden in den Jahren 1932 – 1938 37 Siedlungen².
¹
Amtsblatt der Stadt Berlin, 72. Jahrgang Nr. 52, vom 27.12.1931, Archiv Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf
²
Michael Haben: Berliner Wohnungsbau 1933-1945, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2017.

In der Entstehungsgeschichte der „vorstädtischen Kleinsiedlungen“ für Erwerbslose verbinden sich städtische Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und das Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“.
In der Entstehungsgeschichte der „vorstädtischen Kleinsiedlungen“ für Erwerbslose verbinden sich städtische Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und das Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“.

  • Wir danken allen Familien, die uns vertrauensvoll ihre Dokumente zur Verfügung gestellt haben. Besonderer Dank gilt Michaela Boden, Arno Bley, Arno Drescher, Ingeborg Hofmann, Rika Ilgner, Franziska Maurer und Rosita Proboll.
  • Ausdrücklich bedanken wir uns bei Dr. Michael Haben, dessen Forschung uns zu einer wichtigen Quelle wurde, sowie bei Dorothee Ifland, Leiterin des Bezirksmuseum Marzahn-Hellersdorf.

Wichtig ist uns
zum Verständnis
ein Blick in die Geschichte.
Wichtig ist uns
zum Verständnis
ein Blick in die Geschichte.

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Auszug aus dem Reichsgesetzblatt, III. Notverordnung 4. Teil, Wohnungs- und Siedlungswesen | 6.10.1931

Historische Voraussetzung

Die rasante Entwicklung der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde begleitet von Landflucht in wachsende Städte, der Kapitalisierung von Grund und Boden, der städtischen Wohnraumnot und dem Entstehen der berüchtigten Mietskasernen im innerstädtischen Raum – um nur einige Schlaglichter zu setzen. Parallel dazu entstanden Laubenkolonien und Kleingärten am Stadtrand als Unterschlupf und zur Versorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten. Not und Armut weiter Teile der Bevölkerung führten am Ende des 1. Weltkrieges zu einschneidenden gesellschaftlichen Umwälzungen.
Die rasante Entwicklung der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde begleitet von Landflucht in wachsende Städte, der Kapitalisierung von Grund und Boden, der städtischen Wohnraumnot und dem Entstehen der berüchtigten Mietskasernen im innerstädtischen Raum – um nur einige Schlaglichter zu setzen. Parallel dazu entstanden Laubenkolonien und Kleingärten am Stadtrand als Unterschlupf und zur Versorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten. Not und Armut weiter Teile der Bevölkerung führten am Ende des 1. Weltkrieges zu einschneidenden gesellschaftlichen Umwälzungen. Die junge Republik verstand ihren Auftrag darin, für alle Bevölkerungsgruppen zu sorgen. 1919 verabschiedete das neue Parlament das „Reichsheimstätten-Gesetz und das Gesetz zum Schutz von Kleingärten“. In beiden Gesetzen geht es um die Bodennutzung, diese sollte dem spekulativen Kapitalmarkt durch Erbpacht mit dauerhafter sozialer Verpflichtung entzogen werden.

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Arbeitslosenausweis von Paul Klotzek | Berlin | 1931 | Archiv Siedlergemeinschaft Biesdorf-Nord

Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik

1927 wurde in der Weimarer Republik mit überwältigender Mehrheit eine staatliche Arbeitslosenversicherung eingeführt. Damit hatten Arbeitslose erstmalig gesetzlichen Anspruch auf Unterstützung. Der Leistungsbezug war begrenzt auf 26 Wochen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer beteiligen sich zu gleichen Teilen an den Beiträgen mit maximal 3 % des Lohns. Streik war kein Ausschlussvergehen.
1927 wurde in der Weimarer Republik mit überwältigender Mehrheit eine staatliche Arbeitslosenversicherung eingeführt. Damit hatten Arbeitslose erstmalig gesetzlichen Anspruch auf Unterstützung. Der Leistungsbezug war begrenzt auf 26 Wochen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer beteiligen sich zu gleichen Teilen an den Beiträgen mit maximal 3 % des Lohns. Streik war kein Ausschlussvergehen.
Die Verabschiedung des Gesetzes erfolgte in einer konjunkturellen Hochphase. Im Winter 1929/30 wurde die deutsche Wirtschaft von der Weltwirtschaftskrise erfasst, es kam zu Massenentlassungen und einem galoppierenden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Weite Teile der Bevölkerung gerieten unverschuldet in Not und Armut. Durch die zeitliche Befristung des Leistungsbezugs fielen immer mehr Menschen aus dem Versicherungssystem. 1932 war mit sechs Millionen Arbeitslosen der Höhepunkt erreicht. Eine Notverordnung folgte der nächsten. In diesem Klima entstanden die Stadtrandsiedlungen für Erwerbslose und ihre Familien. 1931 diskutierte die Reichsregierung erstmals über Siedlungen für Arbeitslose: Land im Besitz der öffentlichen Hand sollte zur Bebauung freigegeben und die ausgewählten Siedler überwiegend Selbstversorger werden.

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Grundriss eines halben Doppelhauses der Stadtrandsiedlung Biesdorf Nord | 1932 | aus dem Besitz der Familie Klotzek | Archiv Siedlergemeinschaft Biesdorf-Nord

Das Förderprogramm

Am 6.10.1931 wurde in der III. Notverordnung ein „Kleinsiedlerprogramm für Erwerbslose“ auf Grundlage des „Reichsheimstättengesetzes“ verabschiedet. Am 10.11.1931 wurde die Umsetzung des Programms in die Verantwortung der Bundesländer gelegt und finanzielle Mittel in Höhe von 73 Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt.
Die Anwärter auf eine Siedlerstelle waren arbeitslos, meist Handwerker mit Familie. Sie wurden von der monatlichen Stempelpflicht befreit, erhielten für ihre Arbeit auf der Baustelle ein warmes Mittagessen und eine Beihilfe für An- und Abfahrt in Höhe von 0,5 RM.
Am 6.10.1931 wurde in der III. Notverordnung ein „Kleinsiedlerprogramm für Erwerbslose“ auf Grundlage des „Reichsheimstättengesetzes“ verabschiedet. Am 10.11.1931 wurde die Umsetzung des Programms in die Verantwortung der Bundesländer gelegt und finanzielle Mittel in Höhe von 73 Millionen Reichsmark zur Verfügung gestellt.
Die Anwärter auf eine Siedlerstelle waren arbeitslos, meist Handwerker mit Familie. Sie wurden von der monatlichen Stempelpflicht befreit, erhielten für ihre Arbeit auf der Baustelle ein warmes Mittagessen und eine Beihilfe für An- und Abfahrt in Höhe von 0,5 RM. Die Häuser wurden als einfache Doppelhäuser gebaut und hatten einen einheitlichen Grundriss von ca. 40 – 48m²: Eineinhalb Zimmer, eine Küche ohne Wasseranschluss, ein Abstellraum. Im Garten gab es ein Trockenklosett und einen Hühnerstall und als Wasseranschluss ein Standrohr. Nur für kinderreiche Familien wurde der Dachboden ausgebaut. Zu jeder Siedlerstelle gehörte ein Grundstück von ca. 800 m². Die Siedlerstellen wurden in Erbbaurecht vergeben, die Übergabe der Häuser an die Siedler erfolgte per Los nach Fertigstellung der gesamten Siedlung.